25/04/2024

Berührungen

In Dubai war es so extrem, dass es schon wieder lustig war. Wir haben uns immer wieder gegenseitig ermahnt, einander nicht zu berühren, wenn wir in der Öffentlichkeit unterwegs waren. Es gehört sich dort nicht. Und mit der dortigen Religionspolizei wollten wir auch nichts zu tun haben.

Präsent ist das Thema auch hier in Afrika. Am Flughafen in Johannesburg ging es noch leger zu – ich habe mindestens zwei Pärchen gesehen, die einander an der Hand hielten. Aber außerhalb des Tambo International Airport war das schon nicht mehr der Fall. Und hier in Simbabwe nirgendwo. Daher wurde das Artikelfoto ganz heimlich gemacht, während wir auf der Kariba-Staumauer standen. 😉

Berührung setzt Begegnung voraus, in welcher Form auch immer.

Und hier erleben wir, dass unsere Begegnungen oft die Erkenntnis der Verschiedenheit in sich bergen.
Dazu kommen Beobachtungen, welche verschiedenen Bereiche sich hier in Afrika begegnen. Je länger wir hier sind, desto mehr nähern wir uns einer ersten Ahnung von dem, was Afrika auch ausmacht.

Nehmen wir das schon genannte Thema Medizin. 40 % der Städter und 80 % der Landbevölkerung gehen viel lieber zum traditionellen Heiler als zum eher schulmedizinischen Juniordoctor. Wenn so ein Heiler dann verantwortungsvoll handelt und den Patienten auch gesund oder zumindest gesünder macht, gilt m.E. das Prinzip „wer heilt hat recht“. Und immer mehr Heiler kann man inzwischen mit unseren Heilpraktikern vergleichen. Wenn jemand eine klinische Behandlung braucht, wird er von diesen modern denkenden Heilern auch dorthin geschickt. Das sind gute Begegnungen. Menschen werden auf gute Weise berührt, lassen sich berühren und werden heil(er).

Um die alten Heiler dagegen, die manchmal umstritten sind, sich aber sehr gut in Naturheilkunde auskennen und oft einen sehr positiven Einfluss haben, weil sie auch als Lebensberater und Seelsorger fungieren, rankt sich so manche Geschichte.

Z.B. war es bei den Tonga noch bis vor einigen Jahren üblich, einen ausgebildeten Heiler vor seiner „Zulassung“ für 14 Tage (!) in einen Fluss zu schicken. Nach dieser Zeit sollte er wiederkommen und eine Wasserschlange mitbringen, aus deren Haut er dann Teile seines Schmuckes fertigen musste. Dem jeweiligen Träger dieses Schmuckes wurde und wird ganz außergewöhnliche Heilkraft zugesprochen. Ohne diesen Schmuck gehört man nicht zur Elite.

Das außergewöhnliche aus unserer Sicht ist allerdings nicht, dass hier ein Heiler mit einer besonderen Position und Rolle ausgestattet wird, sondern dass viele Tonga keinen Zweifel an der Tatsache lassen, dass die 14 Tage UNTER Wasser verbracht werden. Der angehende Heiler wird für diese Zeit komplett zum Fisch. Das glaubt auch unsere Gastgeberin, die auch Tonga ist.
Ein Gespräch hierüber ist nur möglich, wenn man die genannten Fakten zu Hundert Prozent bejaht. Diskutiert wird nicht, weil das die Wahrheit ist. Diese Begegnung berührt uns eher unangenehm und lässt uns etwas ratlos zurück.

Es schließt sich eine weitere Begegnung fast nahtlos an. Viele Afrikaner geben auf die Frage nach der eigenen Religion nicht eine, sondern zwei Antworten: Christentum und Naturreligion. Hier begegnen sich schon mal zwei Welten, die sich wahrscheinlich in vielen Punkten, aber nicht in allen widersprechen. Die Liebe zur Natur, die Bewahrung der Schöpfung können sicherlich eine Brücke des Verstehens bauen. Aber den einen personalen Gott mit den vielen Göttern aus Fluß, Baum und Berg zusammen zu bringen, dürfte nur mit einem Aufgeben von wesentlichen Positionen auf der einen und/oder anderen Seite verbunden sein. Und dennoch scheint einerseits die Verwurzelung in den Naturreligionen Afrikas so stark zu sein, dass eine Aufgabe dieser Positionen für viele undenkbar scheint, andererseits aber die Selbstbezeichnung als „Christian“, also Christ/Christin, einer wichtigen Sozialisierung entspricht, die auch nicht aufgegeben werden will. Von beiden Seiten berührt, wird diese Begegnung zur besonderen Herausforderung.

Hier entdecke ich Elemente, die an die in Deutschland immer mehr Raum gewinnende Strömung der Patchworkreligionen erinnern. Man lässt sich nicht auf eine Religion ein, sondern wird berührt durch Elemente ganz unterschiedlicher Religionen, erfährt hier ein positives Echo für das eigene Leben und übernimmt diese daher in ganz persönlicher Auswahl.

Man könnte noch viel nachdenken, z.B. über Begegnungen und Berührungen zwischen Schwarz und Weiß, Europa und Afrika oder auch Arm und Reich, Polizei und Autofahrer, Shona und Ndebele, Klein und Groß.

Wichtig ist für mich, dass die vielen Berührungen in den unterschiedlichsten Begegnungen wahrgenommen werden. Dadurch kann ein Verständnis wachsen, das die Unterschiede schätzt und die Grundlage für ein gemeinsames Brückenbauen legt.

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