Zu den markanten Erinnerungen meiner Jugend gehört der Ausruf meines Vaters “Mein Freund und Kupferstecher”, den ich lange Zeit nur so hingenommen und nicht weiter beachtet habe – außer dass er irgendwie eine Aussage unterstreichen sollte.
Im Leistungskurs Deutsch war er dann mal Thema, als wir kurz über Friedrich Rückert gesprochen haben. Dann habe ich mehrere Jahrzehnte nicht mehr daran gedacht, bis wir Ende Juli im Rahmen unserer Abschiedstour in Schweinfurt zum Eisessen eingeladen waren (Michael und Kim: herzlichen Dank für die schöne Zeit mit euch!)
Treffpunkt war das Denkmal von Friedrich Rückert. Und plötzlich war der Leistungskurs kurz vor dem Abitur wieder präsent. Denn Rückert ist bis auf ein paar Tage genau 100 Jahre vor meiner Geburt gestorben, am 31. Januar 1866, und das war mir damals schon aufgefallen. Außerdem, und das war noch viel wichtiger für mich, war er ein Dichter und konnte mit Sprache umgehen und er war einer der Begründer der deutschen Orientalistik – ein Thema, das mich damals schon einige Jahre lang interessiert hatte. Nota bene: Mit der deutschen Orientalistik begann zum Beispiel ein bis heute andauernder Prozess, den Islam besser kennen zu lernen und nicht ausschließlich negativ zu sehen, was bis zum Ende des 17. Jahrhunderts vorherrschend war. Die Brücken, die wir heute zum Islam bauen können, sind mir wichtig und kostbar. Ich grüße herzlich Rania in Bonn, Sussan in Augsburg sowie Mohammed und Khaled in Königsbrunn, ebenso die Familie von Anita (Nahid).
Den Vogel abgeschossen hat Rückert aber durch seine Sprachkenntnisse. Er beschäftigte sich wissenschaftlich mit über 40 Sprachen, die ich gar nicht alle aufzählen kann, höchstens einen Eindruck geben: Indogermanisch-europäische (Altkirchenslawisch, Gotisch, Schwedisch…) und -asiatische (Afghanisch, Pali, Sanskrit…), semitische (z.B. Altäthiopisch, Arabisch, Syrisch), Turksprachen, finno-ugrische (Estnisch, Finnisch), dravidische (z.B. Tamil) und auch Austronische (Hawaiisch, Malaiisch) u.v.m. Dass es eine Sprache namens Pali gibt, deren Schrift nicht festgelegt ist, finde ich zu Beispiel hochspannend.
Rückert war damals so universal sprachengelehrt unterwegs, dass ich schwer beeindruckt war
(und es nun wieder bin). Denn als ich so vor seinem Denkmal stand und es fotografierte, kam mir in den Sinn, dass wir demnächst aufbrechen werden in die internationale und vielsprachige katholische Pfarrei in Korea. Wir sind sehr erleichtert, dass wir es dort nun nicht mit 40 Sprachen zu tun haben, aber sechs sind es dann doch – Koreanisch, Deutsch, Spanisch, Italienisch, Englisch und Französisch. Dazu kommt dann beim Koreanisch lernen noch der eine oder andere Grammatik-Eindruck aus dem Japanischen und dem Chinesischen, da diese Einfluss auf die Landessprache in Korea hatten.
Bei den anderen Sprachen in der Internationalen Pfarrei muss ich ein bisschen den sehr lange vergangenen Unterricht aktivieren, zum Beispiel werde ich froh sein, wenn ich Spanisch ein wenig entstauben kann (für Italienisch ist vorerst mal Christine zuständig).
“Mein Freund und Kupferstecher” – dieser Ausdruck wird mehrheitlich Rückert zugeschrieben, weil er seinen Freund Carl Barth, einen Zeichner und Kupferstecher (+1853) so bezeichnet hat. Ob es sich hierbei nun um eine Ermahnung oder eine andere Gefühlsmitteilung gehandelt hat, kann heute nur noch vermutet werden. Eine Deutung geht dahin, dass der Ausdruck eher vertraulich-ironisch gemeint war, weil die Kupferstecher alle nötigen Voraussetzungen mitbrachten, um Geldscheine zu fälschen. Tatsächlich waren die Kupferstecher hochbegabte Künstler, die so vieles leisten mussten, dass es nur sehr wenige davon gab.