Corona alleine wäre ja schon genug. Soviel Tote und Erkrankte und Isolierte und offensichtlich Langzeiterkrankte und auch einsame Menschen alleine durch diese Pandemie. Aber das reicht ja noch nicht. Zur Zeit ist die Suizidrate im Großraum Augsburg sehr hoch. Als Notfallseelsorger und -seelsorgerinnen sind wir fast jeden Tag mit diesem Thema beschäftigt, und wir erleben das unendliche Leid, das Familien und Freundeskreise und Arbeitskollegen da aushalten müssen.
Ob das manchmal auch mit Corona zusammenhängt, lässt sich nur vage vermuten, dafür gibt es noch zu wenig Informationen – vielleicht wissen wir da in ein paar Jahren mehr.
Zeitgleich gibt es sehr viele Menschen, deren Existenz unmittelbar bedroht ist oder die bereits zerstört ist. Die Armut in unserem Land wächst. Die Tafeln und Kleiderkammern haben immer noch mehr Gäste. Die Gewalt in den Familien nimmt zu. Und so weiter und so fort.
Als Diakon und Leiter der Notfallseelsorge bin ich das gewöhnt. Aber mal ganz ehrlich: Mir wird immer wieder übel bei all dem. Ich sitze oft abends da und versuche, dieses ganze Leid in mein Gebet zu nehmen. Ich spüre, dass ich das nicht alleine tragen und ertragen kann. Ich muss das abgeben, weitergeben an Gott. Das ist immer wieder ein Ruf um Hilfe.
Und dann stoße ich mit diesen Gefühlen und Gedanken und meiner Hilflosigkeit auf den heutigen Antwortpsalm der Messe. Lobe den Herrn, meine Seele, und alles in mir seinen heiligen Namen (Ps 103,1).
Das aber fällt mir gerade abends nach einem langen Tag mit vielen Menschen in übergroßer Not ganz schön schwer. Ich merke, dass ich es schaffe, Gott meine Not anzuvertrauen, aber ihn so zu loben, wie der Psalmist das schreibt – alles in mir lobe seinen heiligen Namen – ist angesichts der übergroßen, tagtäglichen Not schwierig.
Deshalb hab ich mich gefragt, warum das so schwierig ist. Und ich habe festgestellt, dass das viel mit meinem Gottesbild zu tun hat. Ich wünsche mir offensichtlich immer wieder einen Gott, der eingreift, der die Not abschafft, der uns das Paradies auf Erden verschafft. Und zwar ohne, dass wir da viel dazu tun müssten.
Das Problem dabei ist, dass ich mir da meinen Gott zurechtzimmere, so wie er mir in den Kram passt. Ich erwische mich dabei, dass ich es mir doch recht bequem mache. Es ist menschlich verständlich, sich ein Paradies auf Erden zu wünschen. Die Frage ist aber, wie das denn tatsächlich aussehen sollte – und zwar nicht mit unseren Augen, sondern mit Gottes Augen betrachtet.
Das können wir natürlich nur vermuten. Aber es lohnt sich doch, mal ein wenig Zeit zu investieren und dieser Frage nachzugehen.
Seit es Menschen gibt, und seit diese Menschen über ihre Erfahrungen im Leben berichten, weiß die Menschheit um die vielen Arten von Not und Katastrophen.
Und doch hat genau diese Menschheit es immer wieder geschafft, frohe Zeiten zu genießen und zu gestalten und zu feiern. Zu lachen und sich zu freuen und sich weiter zu entwickeln und das Leben schön zu machen. Diese unbändige Kraft, dieser Willen zum Leben, diese Sehnsucht nach schönen Dingen ist offensichtlich immer weiter vorhanden, über all die Jahrtausende hinweg.
Und da verstehe ich es gut, dass gläubige Menschen diese Kraft immer wieder als Gabe Gottes erfahren und verstanden habe und bis heute so verstehen. Daraus ergibt sich ganz konsequent, dass man diesen Gott auch loben möchte –und zwar mit allem was man hat, mit jeder Faser des eigenen Körpers und jedem Gedanken und jedem Gefühl und einfach mit der ganzen Seele.
Da gibt es so manche Möglichkeit, das zu tun. Es gibt charismatische Gemeinschaften, die stundenlange Lobpreisgottesdienste feiern. Das muss nicht jedem liegen. Aber das ist eine Ausdrucksform von Menschen, die sich diesem Gott bedingungslos anvertrauen und ihn loben und preisen. Und die mich zum Nachdenken bringen.
Beginnen tut der Lobpreis aber in einem schlichten Danke. Im süddeutschen Raum haben wir dafür ein wunderbares Wort: Vergelt’s Gott. Da beginnt das Danken und das Loben und das Preisen.
Niemand von uns muss in jeder Situation immer und überall Gott loben. In den Psalmen, die ja das Gebetbuch der Kirche sind, finden sich genügend Stellen, in denen auch geschimpft und geflucht wird.
Aber wenn wir uns besinnen auf eine ganz alte Weisheit der Kirche, dann wird es uns besser gelingen. Es gibt nämlich eine ganz alte und bis heute sehr guttuende Struktur eines Gebetes. Diese Struktur finden wir immer wieder in den Tagesgebeten und den Gabengebeten und den Schlussgebeten und dem Hochgebet und in vielen weiteren Gebeten.
Es geht einerseits um lobende und preisende Erinnerung – wir erinnern Gott an das, was er schon alles an Gutem getan hat – und andererseits um die Bitte, dass Gott uns erneut und immer wieder beisteht und uns hilft.
Danken und Bitten gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Medaille. Danken und Bitten ist eine ganz angemessene Weise, zu Gott zu beten.
Und ich stelle für mich fest, dass ich mit diesen Gedanken ruhiger und zuversichtlicher werde. Ja, es gibt unendlich viel Not. In meinen Gebeten darf ich das alles Gott anvertrauen. Wenn ich mir aber zugleich klarmache, dass er schon unendlich viel für mich und für die ganze Menschheit getan hat und dass er treu zu uns steht, dann sehe ich mehr als das bittende Gebet. Dann bin ich dankbar – und dann sage ich ihm danke. Und vom Danken komm ich dann auch zum Loben. Auf meine Weise.
Jede und jeder von uns ist eingeladen, die eigene Weise des Gebetes zu finden.
Dann zimmern wir uns nicht unseren Gott zurecht, sondern wir lassen uns von ihm beschenken und überraschen.
Vielen Dank für Deine Worte. Nahrung für die Seele. Lieben Gruß MM