05/10/2023

Weihnachten fällt aus. Vielleicht.

Gedanken zum 2. Advent über Mk 1,1-8

Wenn ich so meine verschiedenen Advents- und Weihnachtspredigten der letzten 20 Jahre bedenke, dann war ich immer der Meinung: Weihnachten ist ein Fest der Liebe, ein Fest des Friedens und ein Fest des Lebens.

Heute sage ich:

Weihnachten fällt aus.

Vielleicht jedenfalls.

Und warum? Natürlich wegen Corona. Wegen der staatlichen Maßnahmen. Obwohl diese dann gelockert sein werden. Aber irgendwie ist doch Frau Merkel schuld.

Nun – Weihnachten fällt garantiert aus. Nämlich dann, wenn wir es ausfallen lassen. Oder wenn wir es schon vorher kaputt reden.

Aber auch wenn wir das Fest nicht zerreden, fällt Weihnachten aus. Nicht erst dieses Jahr – das war in den letzten Jahren auch schon so, in vielen Familien. Und ich habe mich diesem Thema stellen müssen und habe meinen Blick auf Weihnachten verändert.

Denn viele Familien sind weit entfernt von dem, was eigentlich gemeint ist.

Liebe – Frieden – Leben…

Nein: Weihnachten ist dort zunächst mal kein Fest der Liebe, sondern ein schreckliches Erlebnis der Hiebe– nämlich der häuslichen Gewalt. Gewalt gegen Kinder, Gewalt gegen Eltern, oft Gewalt gegen die Partnerin, seltener gegen den Partner. Gewalt in allen nur denkbaren Stufen und Ausführungen, auch sexualisierte Gewalt. Zum Beispiel Vergewaltigungen.

Weihnachten ist wohl auch kein Fest des Friedens, sondern eine besondere Gelegenheit zum Streiten. Offenbar gibt es da genug Anlässe dafür.

Und: Weihnachten ist schon gar kein Fest des Lebens, weil in diesen Tagen die Zahl der Suizide und Suizidversuche ansteigen wird, wie das fast jedes Jahr der Fall ist. Menschen sehen keine Perspektive mehr, ihr Blick auf das Leben ist versperrt, ist eingeengt, wie mit Scheuklappen. Einsamkeit, Depression, Streit, Gewalt und vieles mehr können Anlässe sein, über diesen Schritt nachzudenken und ihn auch zu gehen.

Und wenn wir die sonstige Not der Welt anschauen, wirklich anschauen und auf uns wirken lassen, dann sehen wir Krieg und Gewalt und Umweltzerstörung und Diktaturen und den Abbau der Demokratie in manchen Ländern und vieles mehr. Das alles hat mit Weihnachten nichts mehr zu tun, so scheint es.

Was können wir tun?

Ich fordere uns alle auf, dass wir uns radikalisieren. Nein, ich meine jetzt nicht, extreme politische oder religiöse oder soziale Einstellungen anzunehmen, die zutiefst lebensfeindlich sind.

Ich meine RADIKAL im Wortsinn. Es kommt vom lateinischen Wort RADIX und heißt schlicht und ergreifend „Wurzel“.

Ich fände es gut, richtig gut, wenn wir uns der RADIX bewusst werden, unserer religiösen Wurzel, der Wurzel des Christentums. Und diese Wurzel finden wir in Jesus Christus.

Er hat diese Kirche gestiftet. Kirche ist wieder so ein Wort. Das Wort Kirche kommt aus dem griechischen kyriaké und heißt „Die zum Herrn gehören“. Das sind wir, das ist Kirche. Wir gehören zum Herrn, der die Wurzel von allem ist, was wir sind und an was wir glauben. Ihm sollen wir nachfolgen, dazu fordert er uns immer wieder im Evangelium auf.

Ach ja: Evangelium heißt wörtlich übersetzt: „Frohe Botschaft“. Und die Frohe Botschaft brauchen wir ganz dringend angesichts der vielen schlimmen Fakten, die ich vorhin aufgezählt habe.

Ich schlage einen Dreischritt vor, um dem Thema gerecht zu werden:

WurzelKircheEvangelium

Schritt 1: Nachdenken über die Radix – die Wurzel

Wir müssen als Christinnen und Christen radikal, radikalisiert in diesem Wurzel-Sinn sein. Und das heißt nichts anderes, als die Botschaft der Liebe, die wir doch an Weihnachten feiern wollen, weiter zu geben.

Wir sind gerufen und berufen, nichts Wichtigeres in unserem Leben zu haben als Jesus Christus. Wir sind aufgefordert, uns liebevolle Wurzel-Gedanken zu machen. Radikal eben. Und wer auf solche Weise radikal, verwurzelt ist, der könnte sich in Erinnerung rufen, wie das heutige Evangelium beginnt: „Anfang des Evangeliums von Jesus Christus, Gottes Sohn.“ Der Evangelist Markus schreibt diese Worte als Überschrift über die zentrale Botschaft der Liebe Gottes an uns Menschen (Mk 1,1). Wenn wir nun in Christus verwurzelt sind, wenn wir uns klarmachen, dass es nichts Wichtigeres in unserem Leben geben darf, dann haben wir die beste Voraussetzung, diese Liebe Gottes zu leben und andere spüren zu lassen, aus welcher Kraft wir schöpfen.

Schritt 2: Nachdenken über Kyriaké – die Kirche

Das Wort Kyriaké wurde zum deutschen Wort Kirche und das heißt: das sind die, die zum Herrn gehören. Und diese Kirche hat einen ganz klaren Friedensauftrag in dieser Welt. „Meinen Frieden gebe ich euch“ (Joh 14,27) – so sagt es Christus, so hören wir es immer wieder vom Altar aus. Dieser Frieden will und muss gelebt werden, muss ausprobiert werden, muss hinterfragt werden, wenn er vielleicht nur ein Schein-Friede ist.

Die Kirche hat diesen Friedensauftrag, aber dieser Auftrag wird zur Zeit fast völlig überdeckt durch so viele dunkle Schatten wie Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt. Kirche hat in unzähligen Situationen und bei unzähligen Menschen eben keinen Frieden bewirkt, sondern das genaue Gegenteil.

Wie erleben Menschen noch Kirche? Viele wenden sich ab, und ich kann das gut verstehen.

Aber so darf es nicht bleiben! Jeder Mann und jede Frau und jeder Jugendliche und jedes Kind ist aufgefordert, Kirche zu sein, Kirche erlebbar zu machen im Sinne der Kyriaké – wir gehören zum Herrn, uns ist sein Wort und sein Auftrag wichtig. Und zwar so wichtig, dass wir zu ihm stehen, dass wir darüber reden, wie wichtig er in unserem Leben ist und welche Bedeutung er für diese Welt hat. Dieser Auftrag geht an alle – und nicht alleine an den Bischof und seinen Klerus.

Schritt 3: Nachdenken über die Frohe Botschaft

Das heutige Evangelium gibt uns nun eine klare Handlungsanweisung, wie wir vorgehen sollen. Hören wir nochmal hinein:

Wie geschrieben steht beim Propheten Jesája–

Siehe, ich sende meinen Boten vor dir her,

der deinen Weg bahnen wird.

Stimme eines Rufers in der Wüste:

Bereitet den Weg des Herrn!

Macht gerade seine Straßen!

Da gibt es einen Boten, auf den es zu achten gilt. Denn er wird uns zeigen, wie das geht, dem Herrn den Weg zu bahnen, und so sollen wir das dann auch tun – dem Herrn den Weg bereiten, seine Straßen gerade machen.

Also müssen wir erstmal den Boten finden. Bei Markus geht es ganz klar um Johannes den Täufer. Aber vielleicht gelingt es uns ja, so einen Boten, so einen Rufer auch in unserem Leben zu finden?

Vielleicht ist es der Nachbar, über den ich mich immer wieder ärgere – haben seine Worte einen tieferen Sinn für mich?

Vielleicht sind es meine eigenen Kinder, die heran-wachsen und er-wachsen werden und mit ihrer Kritik nicht hinter dem Berg halten. Was kann ich von ihrer Sicht auf das Leben, auf die Kirche, auf den Glauben lernen?

Vielleicht ist die Lebens-Sicht einer älteren Arbeitskollegin, die einfach deutlich mehr Lebenserfahrung hat als ich, hilfreich für meinen Weg?

Und wenn ich mir dann noch klarmache, dass der Evangelist hier auf Jesaja Bezug nimmt, also auf das Alte Testament und die Kirche damit direkt verwurzelt sieht im Judentum, dann habe ich eine ganze Menge zum Bedenken.
Auch über die aktuellen antisemitischen Entwicklungen in unserer Gesellschaft.

Zum Nach-Denken aber auch über das Leben, das mir geschenkt wurde und das ich lebendig und freudig gestalten soll.

Das Evangelium ist die Botschaft des Lebens, das uns Gott schenkt. Immer wieder, jeden Tag. Und gerade jetzt in der Vorbereitung auf Weihnachten.

Im Geiste dieser Liebe, dieses Friedens und dieses Lebens kann es dann doch noch Weihnachten werden. In unserem Sinne – radikal, als Kirche und im Geiste des Evangeliums.

Ein Gedanke zu “Weihnachten fällt aus. Vielleicht.

  1. Lieber Edgar, vielen Dank, dass Du Deine Gedanken “zu Papier” gebracht hast, sie inspirieren und regen an zum Mit- und Weiterdenken. Vielen Dank. Dir und Christine eine frohe Adventszeit … Gaudete in Sicht und liebe Grüße aus Altenstadt, wo es deutlich mehr Schneeflöckchen hat, als in Augsburg, wie mir eine sichere Quelle bestätigte

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