05/10/2023

Warum denn gleich der Tod am Kreuz?

Warum bitte ist Jesus am Kreuz gestorben? Wegen unserer Sünden?

Um was für Sünden handelt es sich da? Ein Ladendiebstahl? Zu schnell mit dem Auto durch den Ort fahren? Immer wieder den anderen anzulügen? Das sind alles Dinge, die dem anderen schaden.

Aber deswegen gleich den Tod am Kreuz auf sich nehmen – war das nicht etwas übertrieben von diesem Jesus von Nazareth?

Da hätte er sich auch einen anderen Weg aussuchen können. Im Evangelium lesen wir doch, dass Jesus seinen Vater angefleht hat, diesen Kelch an ihm vorüber gehen zu lassen (z.B. Lk 22,42). Warum dann dieser grausame Tod?

Hätte nicht ein Versöhnungsritus ausgereicht? Jesus hätte z.B. in Sack und Asche gehen können, er hätte sich da einer Tradition im Alten Testament anschließen können. Wir finden solche Stellen bei Hiob 42,6, bei Jona 3,6ff; bei Nehemia 9,1.

Er hätte doch auch einen Bußgottesdienst feiern können? Hätte das nicht gereicht, mal eine Stunde intensiv zu beten? Und er hat ja auch tatsächlich intensiv zu Gott, seinem Vater, gebetet.

Hätte das nicht für diese genannten Vergehen ausgereicht?

Stattdessen wird er gekreuzigt. Es muss also um mehr gehen. Es muss hier um Sünden gehen, die so gravierend sind, dass es dieses einzigartige Ereignis gebraucht hat.

Und ich finde, dass Jesus da recht weitsichtig war. Er hat nämlich ganz sicher im Blick gehabt, dass die Menschheit Dinge tut, die uns alle mehr als ratlos zurücklassen, die uns verzweifeln lassen, die uns den Glauben an das Gute vergessen lassen.

Wo fang ich da an?

Wenn demokratisch gewählte Abgeordnete im Landtag und im Bundestag riesige Summen Geld am Leid der Menschheit verdienen, weil sie sechs- oder siebenstellige Summen als Lohn für Beratung bei der Maskenbeschaffung bekommen – dann ist das Verrat an der Demokratie und am Volk und an der Gemeinschaft und zutiefst sündig. Mich lässt das ratlos zurück.

Aber ich denke, dass das immer noch harmlos ist – so schrecklich das ja ist! – im Vergleich zu den Verbrechen, die viele Menschen unserer Gesellschaft durch sexualisierte Gewalt verübt haben, leider auch und gerade die Kirche durch ihr Bodenpersonal an Schutzbefohlenen getan hat und wahrscheinlich immer noch tut.

Schutzbefohlen – das sind nämlich ausnahmslos alle Menschen, die den Rat der Kirche suchen.

Das sind aber auch noch alle anderen, zu denen wir Kontakt haben und für die wir Verantwortung haben:

weil sie Geschöpfe Gottes sind,

weil sie uns ausnahmslos alle anvertraut sind.

Wir wissen alle, dass Not sehr vielfältig ist, und wir müssen auf Not reagieren- jede und jeder von uns mit den eigenen Möglichkeiten.

Dennoch: Wir haben nicht nur die Pflicht, uns mit all unserer Kraft für Menschen in Not einzusetzen. Das ist dann gelebte Diakonia, die unser christliches Selbstverständnis und unser ganzes Handeln und Denken prägen muss.

Aber nein: Nein, der Anspruch geht noch viel weiter. Wir haben außerdem die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie gar nicht erst in eine solche Not kommen. Das ist dann der Einsatz für eine wahrhaft gerechte Welt. Und das hat ganz viel mit Schöpfungsverantwortung zu tun und mit unserem Gottesbild und unserem Menschenbild.

Ich begegne immer wieder Menschen, die sich mir anvertrauen und die unter sexualisierter Gewalt leiden. Und ich habe auch Menschen neu kennen gelernt, als ich erfahren habe, dass sie Täter sind.

Mich macht das so unendlich sprachlos. Bei allen Versuchen, zu erspüren und zu verstehen, wie es den Betroffenen geht, komme ich ganz schnell an meine Grenzen in meinen Worten und in meinen Gefühlen.

Und bei allen Versuchen, zu erspüren und zu verstehen, wie Menschen zu Tätern werden, merke ich, dass hier unsere menschliche Gerichtsbarkeit zwar zwingend notwendig ist, aber lange nicht ausreicht. Aber auch sie kann letztlich nicht für eine Heilung der Betroffenen sorgen.

Was bleibt dann?

Die Grundhaltung, die ich mir für den Dienst in der Notfallseelsorge angewöhnt habe, lautet: Hingehen – Dasein – Aushalten. Das ist auch im Kontext sexualisierter Gewalt ein immer wieder guter Ansatz.

Aber dieser Ansatz braucht eine Basis, ohne die er für mich keinen Sinn macht.

Und damit sind wir wieder bei der Ausgangsfrage: Warum ist Jesus am Kreuz gestorben? Natürlich auch für die vielen kleinen und großen Vergehen und Sünden in unserem Alltag. Aber hier und heute muss uns klarwerden, dass er zunächst mal für diese ganz großen Verbrechen gestorben ist. Bei den kleinen Vergehen könnten wir Menschen noch versuchen, zu heilen. Aber bei diesen großen, nur unheilbringenden Katastrophen menschlichen Handelns schaffen wir das sicher nicht mehr.

Solche Verbrechen trennen uns von Gott, und ohne die Erlösungstat Christi am Kreuz gäbe es auch kein Zurück mehr.

Ich kann das alles etwas besser aushalten, wenn ich mir dies immer wieder vor Augen führe. Er starb am Kreuz wegen solch großer Sünden und Verbrechen.

Und auch wenn heute noch nicht Ostern ist, stelle ich doch die Frage: Wie kommt es dann zur Auferstehung? Es reicht nicht aus, ab morgen Abend Ostern zu feiern und einander zuzusprechen, dass Christus auferstanden ist. Das ist wichtig, aber es reicht eben nicht.

Wir brauchen die Auferstehung unserer Gesellschaft, in der Politiker wirklich dem Volk dienen.

Wir brauchen die Auferstehung der Menschlichkeit, die uns ausnahmslos alle erfüllt und die uns hilft, für mehr Gerechtigkeit zu sorgen.

Wir brauchen aber auch die Auferstehung unserer Kirche, die sich komplett neu ausrichten muss auf das hin, was Jesus von uns will. Wir müssen hin zu einer Kirche, die sich löst von Machtmissbrauch und falschem Hierarchieverständnis, die aufklärt und kooperiert, die bedingungslos dient, die die Berufungen von Männern und von Frauen beachtet und würdigt und ihnen den Freiraum gibt, den Berufung nun mal braucht. Und auch zu einer Kirche, die wahrhaft voller Segen für wirklich alle Menschen ist.

„Die Wirklichkeit ist wichtiger als die Idee“, schrieb Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Evangelii gaudium“.

Die Idee war die der heiligen, unfehlbaren Kirche. Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus. Und damit wir die Chance haben, Jesus Christus wirklich nachzufolgen – das ist und bleibt unser Auftrag – ist er am Kreuz für uns gestorben. Er hält uns den Weg offen. Alleine würden wir es nicht schaffen.

Packen wir es an.

Ein Gedanke zu “Warum denn gleich der Tod am Kreuz?

  1. “hingehen, dasein, aushalten”
    gerade erst hab ich mir die Zeit gegönnt, Deinen Beitrag zu lesen und bin erstaunt, dass gerade in diesem Moment eine WhatsAppNachricht bei mir aufploppt, eine Nachricht von einer lieben Freundin, die vom Tod Ihres Lebenspartners berichtet. Dein Worte gerade gelesen: “hingehen, dasein, aushalten” ist IM MOMENT eine sehr geniale Handlungsempfehlung, der ich folge und im sofortigen Telefonat, gerade die rechte Situation erwische, in der meine Anteilnahme sehr willkommen ist. Hab Dank lieber Edgar, dass Du für mich immer wieder eine so geniale Hilfe bist, dem Leben zu dienen. Grüß mir Deine Christine herzlichst die margit

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