05/10/2023

Von Mützen und Antisemitismus

ein paar meiner Mützen. Foto: Edgar Krumpen
ein paar meiner Mützen. Foto: Edgar Krumpen

Seit 2 Jahren trage ich gerne Mützen. Zunächst wegen einer Krankheit, und dann habe ich entdeckt, dass es mir einfach Spaß macht, verschiedene Mützen in unterschiedlichen Farben zu tragen. Ich falle inzwischen nicht mehr so sehr auf, wie das am Anfang war, aber doch – die Leute schauen. Das ist auch ok so. Mit den Mützen zeige ich etwas von mir, oder auch über mich. Kleider machen Leute, so sagt man doch – und meine Mützen gehören inzwischen zu mir dazu. Ich bin fröhlicher mit ihnen, fühle mich wohler.

Mit Kopfbedeckungen werden auch Rollen und Aufgaben dargestellt,

zum Beispiel im religiösen Bereich. Wenn ein Bischof im Gottesdienst ist, dann trägt er zum Beispiel seine Mitra. Diese Kopfbedeckung zeigt seine besondere Rolle und Aufgabe.

Solideo. Foto: Christine Krumpen

Kaum bekannt ist, dass es auch für Priester und Diakone eine eigene Kopfbedeckung gibt – die wird nur noch sehr selten getragen. Sie ist schwarz, und heißt Pileolus oder Solideo – Solideo heißt eigentlich soli Deo Gloria, nur zur Ehre Gottes, und bedeutet, dass man nur vor Gott das Haupt entblößt, zum Beispiel während der Wandlung im Gottesdienst. Bekannter ist der Pileolus sicher vom Bischof in violett, und beim Papst ist er weiß.

Es gibt viele weitere Kopfbedeckungen, und in der Regel werden sie in unserer Gesellschaft auch toleriert – vielleicht werden sie belächelt, aber eigentlich kann man ja rumlaufen wie man möchte.

Foto: Josh Mason-Barkin; Quelle: pixabay, frei

Von dieser toleranten Einstellung gibt es aber eine schmerzliche Ausnahme, die bei leider immer mehr Menschen zu beobachten ist: Es geht um die jüdische Kippa. Sie hat sich im Verlauf der Jahrhunderte zu einem Erkennungszeichen der Juden entwickelt und ist ein Hinweis darauf, dass die Sitten Israels beachtet und die religiösen Pflichten erfüllt werden. Wenn nun ein Mann in Deutschland mit einer Kippa gesehen wird, der klassischen jüdischen Kopfbedeckung also, die von ihrer Form her ganz ähnlich dem Pileolus ist, dann wird angepöbelt und beschimpft und beleidigt und es passiert Schlimmeres. Es ist eine Schande, dass jüdische Kindergärten und Schulen und Synagogen unter Polizeischutz gestellt werden müssen. Aber der Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 spricht hier eine deutliche Sprache. Und er ist sicher nur die Spitze des Eisberges. Von 2001 bis 2019 wurde 27948 antisemitische Straftaten in Deutschland erfasst. [1]Quelle: https://tinyurl.com/yy4zsdx4

Der Antisemitismus ist in Deutschland auf dem Vormarsch, und er wird immer salonfähiger. Das wird von Teilen der AFD gefördert [2]vgl. z.B. https://tinyurl.com/yygvoxws, aber auch ohne diese Partei gibt es antijüdische Tendenzen und Radikalisierungen, und es wird immer schlimmer. Das Wissen um die nationalsozialistische Zeit, das Dritte Reich und den Holocaust, nimmt ab bzw. wird ausgeblendet. Und auch etliche aktuelle Verschwörungstheorien rund um Corona zum Beispiel sind antisemitisch motiviert.[3]vgl. z.B. https://tinyurl.com/y52vskew

So darf es nicht weiter gehen. Wir müssen uns zu Wort melden, wir müssen dagegen halten – eine Antwort finden auf diese Entwicklung. Für uns Christinnen und Christen ist diese Antwort zuallererst im Evangelium zu suchen. Und da stoßen wir heute auf einen Satz, eine Frage, die Jesus entgegen geschleudert wird von einem Mann, der von einem unreinen Geist besessen war: Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? (Mk 1,24)

Und diese Frage sollte uns keine Ruhe lassen, bis wir eine Antwort darauf gefunden haben. Was haben wir, was habe ich mit Jesus von Nazaret zu tun?

Denn… Wer war dieser Jesus? Jesus war durch und durch Jude. Jesus selbst wäre heute – schon wieder – womöglich Anfeindungen ausgesetzt, wäre in Lebensgefahr, wenn er heute, erkennbar als Jude, in Deutschland unterwegs wäre. Ganz klar: Unser Glaube sagt: Jesus ist der Sohn Gottes, er ist auferstanden und wenn er wiederkommt, dann ist das das Ende aller Zeiten und das Reich Gottes ist definitiv da. So gesehen kann nichts passieren.

Aber die Vorstellung sollte doch erlaubt sein, sich diesen Jesus auf unseren Straßen einmal vorzustellen, umgeben von Bodyguards, die er aber ablehnen würde [4]vgl. Mt 26,52-54 EÜ 2016: Da sagte Jesus zu ihm: Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde … Continue reading.

Die meisten der 94000 Juden und Jüdinnen in Deutschland [5]vgl. https://tinyurl.com/v9lwmzh haben keinen Bodyguard, könnten ihn aber gut brauchen. Viele von ihnen verstecken sich, sind unsichtbar, um auf diese Weise möglichst gefahrlos leben zu können. Dass das aber notwendig ist, ist mehr als eine Schande – es ist eine Katastrophe und widerspricht den Menschenrechten und den göttlichen und christlichen Geboten sowieso.

Die Juden und Jüdinnen verstehen sich als Schicksalsgemeinschaft, die durch die Jahrtausende immer wieder und nie aufhörend verfolgt wurde. Und unsere Aufgabe ist es, solidarisch mit dieser Schicksalsgemeinschaft zu sein.

Im Johannesevangelium (Joh 4,22c) heißt es von Jesus: Das Heil kommt von den Juden. Viel besser ist es, diesen Satz zu übersetzen mit: Das Heil ist von den Juden. Denn es ist ja nicht von den Juden weggegangen und jetzt nur noch bei uns Christen und Christinnen zu finden. Die Juden sind das auserwählte Volk und sie sind das Volk, das Gott zuerst erwählt hat. Ohne Judentum gäbe es kein Christentum, ohne den Juden Jesus keine Erlösung.

Halten wir alle dagegen, damit der Antisemitismus wieder abnimmt. Wenn wir dagegenhalten, zeigen wir Haltung, unsere christliche Haltung, die im Alten Testament, dem Ersten Testament grundgelegt ist und im Neuen Testament ihre Vollendung findet.

Star of David Silhouette, Quelle: istock

Melden Sie sich zu Wort, wenn gespöttelt wird über Juden oder über die Kippa. Machen Sie klar, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. Und wenn jemand nicht an Gott glaubt, dann erzählen Sie von den Menschenrechten. Denn da ist gleich in der Präambel die Rede von der angeborenen Würde und den gleichen und unveräußerlichen Rechten aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen. Wenigstens darauf sollten wir uns doch verständigen können.

Und wenn Sie das nächste Mal jemanden sehen mit einer Kopfbedeckung, ganz egal wie die aussieht, ob Zylinder oder Kippa oder Pudelmütze, ob rot, weiß oder schwarz-grün kariert, dann denken Sie daran, dass darunter ein wertvoller Mensch steckt.

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Beitragsbild: Star of David Silhouette, Quelle: istock, https://tinyurl.com/y4f69nnk

Anmerkungen und Verweise

Anmerkungen und Verweise
1 Quelle: https://tinyurl.com/yy4zsdx4
2 vgl. z.B. https://tinyurl.com/yygvoxws
3 vgl. z.B. https://tinyurl.com/y52vskew
4 vgl. Mt 26,52-54 EÜ 2016: Da sagte Jesus zu ihm: Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte? Wie würden dann aber die Schriften erfüllt, dass es so geschehen muss?
5 vgl. https://tinyurl.com/v9lwmzh

Ein Gedanke zu “Von Mützen und Antisemitismus

  1. Lieber Edgar, ich finde deine Mützen toll und danke dir für die Erklärung des Unterschieds einer Kippa von einer Pileolus. Egal wie mir morgen einer an Kopf gekleidet begegnet, mir in den Blick fällt …. ich werde ihm freundliche gesonnen sein ,dank deiner Beschreibung.
    Euch beiden einen schönen Abend und hab Dank für Deine wertvollen Einblicke

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