Eindrücke, Begegnungen, Besonderes – Vielleicht Teil 1
Wir sind nach drei Tagen im brasilianischen Nordwesten zurück in Brasilia. Während ich die Berichte aus der Stadt Manaus sowie von unserer Fahrt auf dem Amazonas vorbereite (wir haben soviel erlebt, dass das erstmal gebündelt werden muss, vor allem müssen die Fotos gesichtet werden), schiebe ich dieses Kaleidoskop ein.
Vielleicht ist es der erste Teil, falls noch mal ein Kaleidoskopteil kommen sollte.
Rotes Blaulicht
Die Polizeiautos haben so gut wie immer das Blaulicht an, das hier allerdings rot ist. Egal ob sie fahren oder stehen, als Europäer denkt man ständig, da sei gerade ein Notfall und man müsse den Weg frei machen oder sonstwie aufpassen.
Es ist aber anders. Das rote Einsatzlicht ist das Zeichen für ihre Präsenz. Schon von weitem sieht man sie und weiß, dass man sich zu benehmen hat – oder dort Hilfe bekommen kann.
Das ist in einer Stadt wie Rio de Janeiro besonders wichtig. Dort steht an jeder zweiten Ecke ein Fahrzeug der Militärpolizei. Das sind auch die Einsatzkräfte, die in die Favelas fahren und dort gelegentlich irgendwelche Drogenbosse stellen. Das sind dann so Gelegenheiten, zu denen man am besten weit weg von den Favelas ist, also im Hotel oder am Strand oder in Augsburg.
Apropos Drogenboss: Am Flughafen in Manaus gibt es einen Flugzeugfriedhof.
Dort stehen Maschinen einer Pleite gegangenen Fluggesellschaft herum, sowie ein von Polizei beschlagnahmtes Flugzeug eines Drogenbosses, der erwischt worden ist. Siehe blauer Pfeil.
Übrigens muss man manchmal natürlich doch den Polizeiautos Platz machen. Aber dann haben sie auch die Sirene angeschaltet.
Nicht nur bedächtig
Der Brasilianer an sich, so scheint es dem unbedarften Touristen, ist immer und überall bedächtig unterwegs. Er schlendert genauso langsam durch die Einkaufsmall wie auf dem Gehweg. An der Kasse eines Supermarktes können zwei Angestellte gleichzeitig in Zeitlupe den Geldschein eines Kunden begutachten, lediglich um dann Wechselgeld herauszugeben.
Auch am Gate des Flughafens sieht man die Bedächtigkeit. Selbst dann, wenn das Boarding schon vorbei ist und das Personal den Passagier schon dreimal ausgerufen hat. Man hat Zeit und genießt das Leben und geht ganz, ganz langsam zur Kontrolle des Flugscheines, schaut noch mal gelassen zurück. Mögen die anderen warten.
Diese Haltung ändert sich nach meiner Beobachtung nur bei drei Gelegenheiten.
Nämlich zum einen dann, wenn in der Heiligen Messe der Moment kommt, an dem man zum Empfang der Kommunion nach vorne geht. Dann ist es mit der Bedachtsamkeit vorbei. Man geht mit beschleunigtem Schritt aus der letzten Bank als erster nach vorne, auch wenn man dadurch den Menschen in den ersten Bänken im Weg steht, achtet nur wenig auf Reihenbildung – und dann ist es wieder vorbei mit der Eile. Dann schlendert man möglichst langsam wieder zurück in die letzte Bank. (Ich verstehe das: Die Hostien gehen hier ständig aus, man muss sehen wo man bleibt, völlige Fehlplanung hier, was für ein Chaos…🙈)
Die zweite deutlich sichtbare Eile ist beim Einsteigen in einen Bus. Es ist tatsächlich nicht einfach, einen Bus zu bekommen. Auf keinen Fall reicht es aus, wie bei uns nur an der Bushaltestelle zu stehen und dann muss der Bus halten. In jedem Fall muss man aktiv winken, ein paar Schritte dem Bus entgegen rennen schadet auch nicht, gelegentlich auch noch rufen oder schreien hilft ebenfalls. Dann hält der Bus. Meistens jedenfalls. Dann möglichst schnell einsteigen reinspringen. Die Brasilianer in Rio schaffen das in 1,8 Sekunden. (Das ist eine von mir persönlich geschätzte Zeit auf der Grundlage von einfacher Beobachtung ohne Stoppuhr und daher wissenschaftlich belegt und statistisch belastbar. Sekundärliteratur wird nicht zur Verfügung gestellt.)
Die dritte Gelegenheit ist beim Überqueren von Straßen als Fußgänger, ob nun an einer Ampel oder auch sonst wo. Das sollte man tatsächlich nicht langsam tun. Denn die Farbe rot scheint bei etlichen Autofahrern ganz andere Impulse auszulösen, als man sie in der Fahrschule lernt. Sie sehen dann nämlich und wollen möglichst schnell weg – also geben sie Gas.
Da fällt mir ein: Auch die brasilianischen Stoppschilder sind rot.
Natürlich halten sich auch viele Fahrer an die Vorschriften. Zum Beispiel halten sie an Zebrastreifen. Das ist gut. Aber dann schalten sie die Warnblinkanlage an, damit die Autofahrer hinter ihnen nicht auffahren. Das führte mehrfach schon zum Kopfschütteln beim Autor dieses Blogs, der sich daran nicht gewöhnen mag, scheint aber hier überlebensnotwendig zu sein.
Apropos Fahrschule:
Motorradfahrer scheinen auf ganz eigene Fahrschulen zu gehen. Oder auf gar keine.
Aufgeräumte kleine Kinder
Eine Binsenweisheit: Auch in Brasilien bekommen Frauen Kinder. Allerdings sind sie dort lange nicht so gut abgesichert wie bei uns. 120 Tage gibt es dort Mutterschutz. Keinen Tag mehr. Auch keine Elternzeit oder so etwas. Wenn eine Frau die 120 Tage schon vor der Geburt beginnen will, kann sie das tun, aber dann verkürzt sich die Zeit nach der Geburt entsprechend. Will sie mehr Zeit für ihr Kind, muss sie ihre Arbeitsstelle kündigen.
Daher gibt es einen großen Druck, die Kinder möglichst früh in eine Einrichtung zu geben. Das geht aber erst mit 12 Monaten (wer mitrechnet, stellt fest, dass 12 Monate länger dauern als 120 Tage…) und wegen dieser Unlogik müssen dann Großeltern oder die weitere Großfamilie einspringen, damit die Kinder aufgeräumt sind und die Arbeitsstelle erhalten bleibt.
In unseren Ohren klingt es aber vor allem ungewohnt, dass schon bei den kleinsten Kindern davon gesprochen wird, dass sie in die „Schule“ gehen und dort „studieren“.
Beziehungen nach Deutschland
Maurice ist der Inhaber eines kleinen Restaurants in Manaus. Mit ihm komme ich sofort ins Gespräch. Er hat einen Freund in Nürnberg, der ihn einmal im Jahr besuchen kommt. Maurice will dorthin. Dann stellt sich heraus, dass der Freund zwar in Nürnberg wohnt, Maurice aber zum Nürburgring will und dort Motorradrennen fahren.
Vitor an der Kasse des Theaters in Manaus ist großer Deutschlandfan und ist der Meinung, dass in ganz Deutschland die Menschen mit Lederhose oder Dirndl herumlaufen. Das denken hier übrigens viele. Nicht zufällig: Wann immer man eine Werbung für Deutschland oder deutsche Produkte sieht, bekommt man genau dieses Bild präsentiert.
Vitor will zum Oktoberfest nach Blumenau. Blumenau liegt im Süden von Brasilien, dort wohnen viele deutschstämmige Menschen und dort findet das tatsächlich jedes Jahr statt. Er träumt aber davon, eines Tages nach München zu kommen, um dort einen ganzen Liter Bier zu trinken- schon die Vorstellung davon macht ihn glücklich. Und weil er gerade so glücklich ist, hat er Mitleid mit uns, weil wir kein Recht auf eine Ermäßigung des Eintritts haben. Daher bekommen wir eine Seniorenermäßigung von 50%.
Daniel wiederum, den wir in Brasilia trafen, vereint die Träume von Vitor und Maurice: Er träumt auch von einer Europareise, vielleicht 2020. Er will dort schnelle Autos und Motorräder fahren und zum Oktoberfest will er auch.
Daniel spricht übrigens sehr gut Englisch. Es hat Spaß gemacht, mit ihm zu reden. Wir haben viel gelacht dabei.