05/10/2023

Lustige Fotos mit dem Erlöser

Fotografieren kann vieles bedeuten. Das habe ich bei der berühmten Christusstatue von Rio de Janeiro festgestellt.

Zur Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit von Portugal, also für 1922, war sie geplant. Aus finanziellen Gründen wurde sie aber erst 1931 fertig gestellt. 2006, zur 75–Jahr–Feier, wurde sie zur Wallfahrtsstätte erhoben. Oder, wie die Brasilianer sagen: Santuário- Heiligtum.

Ein vergoldeter Anhänger wird dort verkauft

Cristo Redentor heißt sie, Christus, der Erlöser. Sie steht im Süden von Rio de Janeiro auf dem Berg Corcovado, ist 30 Meter hoch und wurde bald Vorbild für viele weitere große Christusstatuen. Der Sockel ist 8 Meter hoch, in ihm befindet sich eine Kapelle. In ihr darf nicht fotografiert werden. Aber außerhalb…

Die Statue schaut über die Stadt, zum Beispiel direkt auf den Zuckerhut.

Diesmal war die Aussicht viel besser als der umgekehrte Blick vor ein paar Tagen.

Man fährt mit einer Zahnradbahn hoch.

Nach der Internet-Reiseführer-Auskunft sollte die Fahrt 17 Minuten dauern. Nachdem bei uns vieren immer wieder das brasilianische Zeitverständnis Thema ist – im Unterschied zum deutschen natürlich- und es allen klar ist, dass wir hier immer von einer großzügigen Zeitanpassung ausgehen müssen, legte sich Alberto dennoch fest: wenn im Internet 17 Minuten steht, dann werden es auch 17 Minuten sein.

Daher haben er und ich uns einen Spaß daraus gemacht, dies zu überprüfen. Zum Missfallen von Suely und zur Erheiterung von Christine lief auf Albertos Handy die Stoppuhr mit.

Das Ergebnis:

Für brasilianisches Denken sind das genau 17 Minuten.
Oben angekommen bot sich uns ein Panorama, das wir ganz still genießen wollten.

Anfangs ging das auch noch. Wir sahen und staunten. Und natürlich schauten wir die Statue an und fotografierten sie.

Nach und nach kamen immer mehr Leute, und es war eine ganz fröhliche Stimmung, trotz der immer größer werdenden Dichte da oben. Es gab zwar viele Menschen dort, aber irgendwie nahm jeder Rücksicht auf jeden. Auch als ich mein Stativ aufbaute, war das kein Problem für die anderen, die sehr bewusst darüber stiegen.

Ein ca 70jähriger ehemaliger US-Offizier, 15 Jahre aktiver Soldat in Wyoming, militärisch gekleidet und ausgerüstet mit einer Flüstertüte, war in seinem Element. Alle paar Minuten ließ er sein Megaphon aufheulen, um dann zweisprachig Anweisungen (viel mehr Englisch als Portugiesisch) zu geben. „Bitte nicht auf der Mauer stehen“ oder „bitte lassen Sie auch mal andere an die guten Fotografier-Stellen“.

Mich sprach er persönlich an: „Do you speak English? Yes? That’s great!“ und erzählte mir aus seinem Leben und von seiner Aufgabe dort auf dem Corcovado, außerdem, wo der beste Platz zum Fotografieren sei. Das war alles sehr nett, aber er tat das alles in US-militärischer Weise: Laut, schnell, Befehlston. Ich fand das sehr erheiternd. Vor allem, weil außerdem noch ein brasilianischer Ordner vor Ort war, dezent gekleidet, als Abzeichen nur eine Armbinde, die seinen Auftrag auswies, und ausgerüstet lediglich mit einer Trillerpfeife. Während die Leute vom amerikanischen Soldaten nur genervt waren (und wenn sie sich bei ihm über seine Art beschwerten, bekamen sie über das Megaphon (!) mitgeteilt: „I only do my job!“) hatte der Brasilianer alles im Griff, einfach durch ein Lächeln, manchmal einen strengen Blick, sowie ganz kurze Pfiffe und ebenso kurze Anweisungen.

Das war ein Lehrstück par excellence über die Frage, welche Möglichkeiten wir Menschen nutzen, um für die Sicherheit anderer zu sorgen, dabei aber selber Mensch zu bleiben und gleichzeitig die Situation im Blick zu haben und mit einzubeziehen.

Auf dem Corcovado wird sehr sehr sehr viel fotografiert. Die Aussicht ist bei halbwegs gutem Wetter fantastisch, der Rundblick über Rio de Janeiro lädt immer wieder neu zum Verweilen und Entdecken ein. Natürlich ist die Hauptattraktion die Statue selbst. Ich hab auch ein paar Fotos gemacht und es genossen, verschiedene Kameraeinstellungen zu testen. Christine hat zusätzlich noch mich beim Fotografieren fotografiert. Nach und nach entsteht so eine ganze Reihe von diesem Motiv.

Die meisten haben aber nicht die Umgebung oder die Statue fotografiert, sondern die Umgebung plus sich selbst und die Statue plus sich selbst. Und das ist ganz spannend gewesen: Fast alle haben, wenn es nicht gerade ein Selfie war, Freund oder Freundin fotografiert mit Blick auf die Statue. Der jeweilige Fotograf lag dabei auf dem Boden (der dadurch ständig geputzt wurde). Die fotografierte Person nahm eine Pose ein, die der der Statue entsprach oder diese ergänzte. Das Ergebnis war dann oft ein Bild so als ob die Hände der Statue von den Händen der Person ergriffen würden. Oder andersrum.

Zunächst habe ich mich darüber geärgert, fand es ein unpassendes Verhalten an diesem Wallfahrtsort.

Aber dann begann ich als Diakon darüber nachzudenken. Darüber nämlich, was Christus für uns sein möchte. Er möchte uns nahe sein, uns Halt und Sicherheit geben, uns Gelegenheit geben, ihn nachzuahmen und dadurch Gott näher zu kommen. Was auch immer helfen kann, dies zu erreichen, ist in sich gut. Und auch wenn die Menschen dort oben vermutlich nicht alle meine Gedanken auch gedacht haben – das ist gar nicht so wichtig. Es sind ja meine Gedanken und meine Worte, diese Welt zu sehen und Christus zu beschreiben. Er hat unendlich viele Möglichkeiten, sich zu zeigen. Eine gute Erfahrung beim Selfie mit Cristo Redentor in fröhlicher Atmosphäre ist dabei doch ein guter Anfang.

Wir waren noch kurz in der Kapelle zum Gebet und haben dann unseren Besuch auf dem Corcovado mit einem Getränk ausklingen lassen.

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