Von Augsburg bis Rio des Janeiro sind es Pi mal Daumen 10.000 km Luftlinie – ein Viertel einer Weltumrundung. Es ist ein weiter Weg dorthin, körperlich anstrengend, das merken wir von Stunde zu Stunde deutlicher. Während ich das hier schreibe, haben wir gerade mal die Hälfte davon geschafft und würden gerne mal kurz aussteigen und uns die Beine vertreten.
Dabei wäre eine Schiffsreise um ein Vielfaches länger. Wir haben die schnellste Verbindung gewählt. Noch sechs Stunden Flug.
Mir gehen ganz besondere und kostbare Erfahrungen durch den Kopf, die ich seit über 9 Jahren machen darf. International, ökumenisch, diakonisch, menschlich – das sind Attribute, die ich gerne mit dem Internationalen Diakonatszentrum (IDZ) verbinde.
Im März 2009, kurz nachdem ich Mitglied geworden war, durfte ich zum ersten Mal an einem Kongress des IDZ teilnehmen. Der fand in Wien statt, und ich war von Anfang an berührt von der solidarisch-christlichen-geschwisterlichen Atmosphäre und begeistert von den vielen unkomplizierten Begegnungen mit diakonischen Menschen aus der ganzen Welt.
Denn das ist für mich der richtige Begriff: Diakonische Menschen. Menschen, die anderen dienen, vor allem denen, die in großer (seelischer) Not sind.
Das trifft natürlich auf die katholischen Diakone erst recht zu. Und das IDZ ist ja tatsächlich eine Gründung zur Förderung des Ständigen Diakonates in der Katholischen Kirche, unmittelbar nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das kurz vorher die Wiedereinführung als Weihestufe beschlossen hatte.
Deswegen habe ich über das IDZ schon viele Ständige Diakone aus der ganzen Welt kennen und schätzen gelernt, einige sind zu Freunden geworden.
Aber das IDZ will mehr und kann mehr und bewirkt mehr als Kontakte zwischen katholischen Diakonen in der Weltkirche zu ermöglichen, so schön das auch ist.
Im IDZ nehmen wir die Welt mit diakonischen Augen wahr. Zumindest arbeiten wir daran, dass uns das (besser) gelingt. Dabei helfen uns unsere Ehefrauen, die – durchaus von Kontinent zu Kontinent verschieden- einen eigenen Blick einbringen und die Diakonia auf ihre Weise leben und unterstützen.
Auch der Blick in andere Konfessionen hilft. In Vehlerad (Tschechien) haben wir uns 2013 z.B. mit der orthodoxen Kirche getroffen. Und bei allen IDZ-Treffen der letzten Jahre waren Vertreterinnen und Vertreter von protestantischen Konfessionen dabei, z.B. eine Diakonisse aus Finland. Ich mag diesen Austausch. Zuhören und lernen von den anderen. Erfahren, wie in einer ganz anderen Ecke unserer Welt das Evangelium gelebt wird und welche Not dort gelindert wird.
Hierzu gibt es eine Anekdote, die ich gerne erzähle. Bei jenem Kongress in Wien 2009 ergab es sich an einem Abend, dass wir in großer Runde zusammen saßen und feststellten, dass fast aus jedem Kontinent jemand am Tisch saß. Nur Australien war noch nicht vertreten, aber auch von dort haben sich inzwischen diakonische Menschen beim IDZ eingefunden.
Wir erzählten uns von unseren Aufgaben und stellten fest, dass es einen großen gemeinsamen Nenner gab: Diakonia wurde und wird überall verstanden als Reaktion auf die größte Not vor Ort.
Ein Diakon aus Kuba begann und schilderte die Not, dass die Lebensmittelversorgung bei ihnen nicht richtig funktioniere und sie daher ein Projekt ins Leben gerufen hatten, das vor allem Menschen auf dem Land mit Lebensmitteln versorge.
Von der Ostküste Kanadas berichtete ein Hafendiakon (so bezeichnete er sich selbst), dass die Situation der im Hafen arbeitenden Migranten (z.B. aus Lateinamerika) katastrophal sei, weil sie schlicht ausgebeutet wurden. Der Diakonat habe dort den Schwerpunkt der Hilfe zur Selbsthilfe, außerdem würden Sprachkurse angeboten.
Aus Mumbai in Indien wurde von der fehlenden medizinischen Versorgung berichtet und dass diakonische Menschen dort den Grundstock für einen medizinischen Dienst gelegt hatten.
Aus Brasilien hieß es, dass die Kirche an der Seite der Arbeitnehmer stehe, da die Situation der Gewerkschaften sehr schwierig sei. Etliche Diakone arbeiten daher gezielt in Gewerkschaften mit.
Aus Südafrika hörten wir von Glaubenskursen und einer Sakramentenpastoral, die vor allem die Menschen in den Slums von Johannesburg im Anblick hatten.
Ja, und dann kam die Reihe an mich. Und es hatte schon vorher im Raum gestanden, was dann die Ehefrau eines Diakons aus Lateinamerika aussprach: “Edgar, wie ist das bei euch? Ihr habt doch alles in Deutschland. Perfekte medizinische Versorgung, Gewerkschaften, Lebensmittelversorgung im Überfluss, und Slums habt ihr auch nicht. Wozu braucht man denn eigentlich Diakone in Deutschland?”
Es wurde still im Raum. Die Frage wurde als unpassend und übergriffig empfunden. Sie war aber berechtigt. Ich antwortete: “In Deutschland vereinsamen die Menschen immer mehr. Und wir haben verlernt, zu trauern. Wenn jemand plötzlich stirbt, durch einen Verkehrsunfall oder durch Suizid, dann wissen die Menschen nicht mehr, wie sie damit umgehen können. Sie brauchen Hilfe von der Notfallseelsorge – und das ist es, was ich im Bistum Augsburg organisiere.”
Das hatten die anderen nicht erwartet, und so wurde ich gebeten, meine Aufgabe ausführlicher vorzustellen: Notfallseelsorge mit der Überschrift “Hingehen-Dasein-Aushalten ” – auf dem wissenschaftlichen Fundament der Psychotraumatologie und mit dem reichhaltigen kirchlichen (Beratungs-) Angebot, das auch wirklich ab und zu angenommen wird – und natürlich mit den vielen Möglichkeiten, mit Hilfe eines Ritus/eines Gebetes Abschied zu nehmen.
Genau diesen Austausch möchte ich nicht missen. Ich habe durch das weltweite Netzwerk des IDZ schon oft über meinen Tellerrand schauen dürfen und sehr viel gelernt. Dieser Austausch braucht immer neue Begegnung. Wir halten gerne Kontakt zu Alberto und Suely, über WhatsApp und Skype und E-Mail. Aber sie zu sehen und viel Zeit mit Ihnen zu verbringen, um wiederum von Ihnen zu lernen, das ist noch viel schöner.
Dafür müssen wir nicht mal um die halbe Welt reisen. Es ist nur ein Viertel.
Und nur noch vier Stunden Flug.
Lieber Edgar, liebe Christine,
mit grosser Freude darf ich an euren Gedanken während eurer Flugzeit teilnehmen . so interessant – damit auch ich ein wenig mehr über den eigenen Tellerrand rausblicken darf.
Gerade ist der Tisch für uns in Holland gedeckt. nach der Woche in Schönstatt mit unserer Kursgemeinschaft sind wir für fünft Tage völlig ohne Programm 20km südlich von Amsterdam angekommen und leben Familienleben mit nur 6 Kindern am Kanal mit Motorboot und am Meer mit Salzgeschmack.
Ich schicke euch allerherzlichste Grüße und bin neugierig ob das niederländische Netz meine Nachricht zu euch transportiert
herzlichst
die margit