05/10/2023

An der Grenze

In Ängsten die einen, und die anderen leben.  

Und die anderen leben, und sie leben nicht schlecht.

In Hunger die einen und wir anderen leben

Und wir anderen leben, die im Hunger leben schlecht.

Kyrie, Kyrie eleison, Herr, guter Gott, erbarme dich!
Dieses Lied passt ganz gut auf mein Erlebnis gestern, Samstag, in Nairobi.

Zu wissen, dass es in Nairobi fünf große Slums gibt, darunter Mukuru, mit mindestens 1 Million Bewohner, ist das eine.

Das andere: Dort zu sein.

Pater Patrick nahm uns mit auf die Reise. Das eigentliche Ziel war sein Elternhaus, etwa 4 Autostunden östlich von Nairobi. Auf dem Weg lag Mukuru. Dort arbeitet er jedes zweite Wochenende. Der Kardinal von Nairobi hat Patricks Orden die Pfarrei anvertraut, die genau Mukuru umfasst. Das heißt: Zuständigkeit für 1 Million Menschen. Natürlich nicht alle katholisch. Aber das ist ja auch keine Frage für die Ordensleute, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen.

Meinen Fotoapparat hatte ich im dortigen Pfarrhaus gelassen. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dort als fotografierender Tourist aufzutauchen.

Mein Gefühl war richtig.

Das Pfarrhaus grenzt an eine Mauer, in der eine Metalltür eigelassen ist. Öffnet man diese, steht man direkt im Slum. Der Boden dort ist aber 80 cm höher, man muss also klettern.

Mir war vorher im Pfarrgarten aufgefallen, dass unzählige Fliegen dort waren. Erklären konnte ich mir das zunächst nicht.

Aber dann schon. Wir standen nämlich mit Durchklettern der Tür

im Müll.

Im Gestank.

Im Lärm.

Unter unabsehbar vielen Menschen.

Die ersten Schritte gingen noch. Wir kamen zu einem freien Feld, auf dem Fußball gespielt wurde. Dort war die Luft etwas besser. Aber dann gingen wir durch ein Tor und kamen auf einen Weg, an dem Wellblechhütte an Wellblechhütte stand. Und wir sind durch Berge von Müll und – aufgrund komplett fehlender Kanalisation – auch durch Exkremente gelaufen. Dazu kamen die kleinen Feuer, in denen vor allem Plastik verbrannt wird, und dann noch die große Hitze… Das war einfach zu viel.
Ich hab schon viel gesehen und auch gerochen. Messiwohnungen, in denen ich im Einsatz war, haben mich schon nachhaltig geprägt.

Aber hier war eine Grenze, nämlich meine, deutlich überschritten. Ich musste mich übergeben und wir haben unsere Besichtigung abgebrochen. Danach war ich eine Zeit lang zu nichts zu gebrauchen.

Es ist gut zu wissen, dass der Orden der Spirituaner hier hilft. Verschiedene Projekte, z.B. Kooperation mit den Kliniken, laufen sehr gut.

Es ist auch gut zu hören, dass immer wieder Menschen den Weg aus dem Elend schaffen, weil sie es wirklich wollen.

Die allermeisten dort aber wollen und werden nichts ändern an ihrer Situation. Viele gehen arbeiten und verdienen etwa 1 Euro am Tag. Damit sind sie irgendwie zufrieden. Sie kennen es nicht anders.

Ich bin da am falschen Platz.

2 Gedanken zu “An der Grenze

  1. Hallo Edgar – vielen Dank für die vielen Eindrücke aus Afrika – Du nimmst mich da ein Stück mit – auch an die Genzen… die ich vor einigen Jahren in Mosambique auch mal näher kennengelernt habe –
    Dein letzter Satz heute
    “Die allermeisten dort aber wollen und werden nichts ändern an ihrer Situation. Viele gehen arbeiten und verdienen etwa 1 Euro am Tag. Damit sind sie irgendwie zufrieden. Sie kennen es nicht anders” – den verstehe ich nicht. Bist Du da sicher? Ich habe das in Mosambique wirklich anders erfahren – ja, auch Lethargie, Perspektivlosigkeit – aber auch sehr viel Lebensmut und immer immer wieder aufstehen, auch wenn es unendlich viele Hindernisse gab (AIDS, Armut, Naturkatastrophen, unglaublich viel Gegenwind, für uns wirklich auch nicht vorstellbar)

    Mutig, dass ihr euch dieser Welt ganz nah aussetzt – es verändert uns, nicht wahr?

    bis bald und liebe Grüße aus Steinen
    Michael

  2. Hallo Michael,
    vielen Dank für dein Dabeisein aus der Ferne und zugleich gedanklich ganz nah.
    Nachdem wir hier ständig Lernende sind, habe ich vorhin beim Frühstück das Thema nochmal angesprochen.
    Die Sicht von Patrick, der auch die Einschätzung der anderen im Slum arbeitenden Priester wiedergab, lautet: Es kommt darauf an. In den Slums leben Menschen, die zum Teil vom Land hergezogen sind, weil sie dort keine Arbeit haben – und hier vielleicht zwei drei Euro am Tag verdienen können. Eine weitere Steigerung ihres Lebensstandards gelingt ihnen nicht.
    Viele andere sind dort geboren und gewöhnt an die Umstände. Wenn sie sich auf eines der Hilfsprogramme der Kirche einlassen (staatlich gibt es hier nichts), und den Willen zur Veränderung haben, dann haben sie auch eine Chance. Eine kleine zumindest, weil der Anteil der Menschen in Nairobi, die ausgebildet sind, sehr hoch ist und die Arbeitgeber ihre Chance nutzen, aus einer Vielzahl von Bewerbern auszuwählen.
    Viele Bewohner sind alkoholabhängig, die wollen oder können sich gar nicht auf irgend etwas anderes einlassen. Und dann gibt es noch die, die sich dort einrichten, die sogar ganz fröhlich sind, ihre afrikanischen Lieder singen und keine Anstrengung machen, da jemals wieder raus zu kommen.
    Ich glaube, dass der Wille zur Veränderung eines der entscheidenden Momente ist, natürlich neben der Möglichkeit, auch Angebote wahrnehmen zu können.

    Kirche UND Staat sind gefordert, und der Bewohner selber auch.

    Viele Grüße
    Edgar

Kommentare sind geschlossen.

%d Bloggern gefällt das: