Beide brasilianischen Freunde haben eine große Verwandtschaft. Schon in Brasilia hatten wir ja zweimal für ein paar Tage die Gelegenheit, einen Teil der Kernfamilie von Alberto und Suely zu erleben. Die beiden haben 3 Kinder, die jeweils eigene (Auch Teil-/ in Scheidung lebende/ mit neuen Partnern wohnende) Familien mit insgesamt 7 Kindern zwischen 2 und 11 Jahren haben und zum großen Teil auf einem Platz wohnen bzw. in großer Nähe.
Die hier erlebte, generationsübergreifende und -verbindende Nähe hat viele Vorteile. So wird die Sorge um diese 7 Enkel von insgesamt 9 Erwachsenen übernommen. Das ist ganz praktisch, weil die Kinder auf verschiedene private Schulen oder Kindergärten gehen, da da staatliche Schulsystem immer schlechter wird. Die meisten dieser Schulen sind aber am anderen Ende von Brasilia, und das Netz des Öffentlichen Personennahverkehrs ist mehr als löchrig und unzuverlässig. Die nächste Bushaltestelle ist zu Fuß mindestens 30 Minuten entfernt – und niemand weiß, ob der Bus auch wirklich kommt.
Zudem sind die Straßen ganz und gar nicht sicher für die Kinder. Ergebnis: Ein täglicher familiärer Fahrdienst.
Die Verbundenheit geht aber über Brasilia weit hinaus. Beide Ursprungsfamilien kommen aus Uberlândia, 420 km südöstlich von Brasilia. Dort waren wir jetzt von Montagabend bis Mittwoch früh und haben bei einer von zwei Schwestern von Suely gewohnt. Auch hier wurden wir sehr herzlich empfangen und haben uns gut verstanden. Wir haben viel gelacht über die Kommunikationswege zwischen uns. Französische, englische und spanische Worte und Brocken brachten uns näher. Wilma (gesprochen: Wiuma) ist Musiklehrerin und Baltasar (gesprochen: Bautasar) Finanzbeamter gewesen, beide nun im Ruhestand. Baltasar hatte im Vorfeld einige deutsche Wörter bei Google translate herausgeschrieben, und so haben wir uns viel über Sprache ausgetauscht. Bei der Verabschiedung haben sie sich für die Kommunikationsprobleme entschuldigt. Wir haben geantwortet, dass es unter Freunden keine Kommunikationsprobleme gebe, und das haben wir auch so gemeint.
Einen ganzen Tag haben wir bei vielen weiteren Verwandten verbrachten, also bei den jeweiligen Müttern, die ihrerseits viele weitere Familienangehörigen dazugeladen hatten, was zu sehr vielen Begrüßungen, Umarmungen, Küssen sowie Verabschiedungen und erneuten Umarmungen geführt hat. Albertos Vater, der bereits 2006 gestorben ist, war auch ein Diakon, sodass es hier auch wieder Gesprächsthemen gab. Da seine Mutter – typisch brasilianisch – auch kulinarisch gastfreundlich war, wurde ein kleiner Snack angekündigt. Naja, ehrlich gesagt, war es eine reichlich gefüllte Tafel, die sich bog.
Wir haben hier in Brasilien sehr schnell gelernt, dass man von jedem Gericht nur ein wenig nehmen sollte, da jedesmal noch gefühlte 20 weitere Gänge kommen werden. Und meistens ist Essenverweigerung keine Option, mal von Christines freundlich-klarer veganen Position abgesehen.
Eigentlich aber hatten wir vorher reichhaltig zu Mittag gegessen, in einem Selbstbedienungsrestaurant, wie Christine es schon mal beschrieben hat. Denn zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch nichts davon gewusst, kurz darauf zu einem nachmittäglichen Essen eingeladen zu werden.
Jedenfalls hatte das Auto Mühe, uns zur Unterkunft und damit zum abendlichen Snack zu bringen… Später sind wir dann der Einfachheit halber ins Bett gerollt.
Hier kennt jeder jeden und jede und hat alle Handynummern und man ist in unzähligen WhatsApp-Gruppen organisiert.
An Weihnachten trifft man sich bei Albertos (Alberto gesprochen: Aubért) Mutter mit 80 Leuten und versucht, in allen möglichen Konstellationen Fotos zu machen.
Wenn man soviel Familie erlebt, bleibt nicht aus, auch Probleme mitzubekommen. Alkoholabhängigkeit, Drogenprobleme, Demenz, Pflegebedürftigkeit, viele weitere Krankheiten – das alles kommt vor und ist auch Thema und macht Sorgen. Hilfreich ist aber auch hier die Verbundenheit, die manches leichter macht.